Die Flucht hat mein Leben verändert
Dass unser Bewohner Herr Knebl auf der Flucht vor den Russen schließlich nach Franken kam, war reiner Zufall. Mit 94 Jahren blickt er auf ein Leben mit vielen Höhen und Tiefen zurück.
Die Flucht vor der russischen Front veranlasste Herrn Knebl aus seiner Heimat Serbien zu flüchten. Später war er als Maler- und Verputzer selbstständig. Seit mittlerweile einem Jahr lebt Herr Knebl im Haus der Pflege. Im Interview erzählt er uns von seinem Alltag im Pflegeheim und seinem bewegten Leben.
Als Sie noch zuhause waren, wie sah ihr Leben aus?
Ich war Maler und Verputzer und hatte meine eigene Firma. Ich hatte bis zu vier Leute beschäftigt. Meine Frau war im Schloss in Markt Einersheim als die rechte Hand der Gräfin. Sie hat beim Anziehen geholfen, bei größeren Gesellschaften bedient und wenn die Köchin alle vier Wochen sonntags frei hatte, dann hat meine Frau auch gekocht. Später hat meine Frau in der Lebkuchenfabrik in Mainbernheim gearbeitet.
1959 habe ich mein Geschäft gegründet und hatte gleich meinen ersten Auftrag: ein Wohnzimmer tünchen. Im Herbst 1960 haben wir dann selbst gebaut und im Frühjahr 1961 verputzt. Da hatte ich auch gleich zwei Mitarbeiter.
Worauf sind Sie besonders stolz im Leben?
Hr. Knebl: Auf die guten Worte, die ich von vielen Seiten für meine Arbeit bekommen habe. Meine Frau hat auch oft mitgearbeitet und war mit auf dem Gerüst.
Wie geht’s Ihnen?
Hr. Knebl: Mir geht’s immer gut. Aber beim Stehen wackeln mir die Knie, deshalb fahre ich lieber Rollstuhl.
Fühlen Sie sich wohl im Haus der Pflege?
Hr Knebl: Könnte nicht besser sein.
Wie sieht ein Tag im Haus der Pflege bei Ihnen aus?
Hr Knebl: Ich stehe um 6:15 Uhr auf, um 7:30 Uhr frühstücke ich, dann unterhalte ich mich mit den Anderen. Ich mache auch bei allen Beschäftigungsangeboten immer mit. Nach dem Mittagessen schaue ich Fernsehen, da kommt etwas mit Eisenbahnen und Quiz Sendungen. Nach dem Kaffee besuche ich meine Frau. Sie ist auch hier im Haus der Pflege. Um 17:30 Uhr gibt’s Abendessen. Danach schaue ich die Nachrichten und „Dahoam is Dahoam“, das schaue ich schon ewig. Und danach telefoniere ich jeden Abend mit meiner Schwester.
Was würden Sie der jüngeren Generation raten?
Hr. Knebl: Einen ordentlichen Beruf zu erlernen. Ob Handwerk oder Schule ist egal, aber man steht damit auf eigenen Füßen, sodass eine Familiengründung möglich ist.
Glauben Sie, dass die Kinder, die heute geboren werden, ein besseres oder schlechteres Leben haben werden?
Hr. Knebl: Man kann das schlecht sagen, aber der Fortschritt geht weiter. Gestern hat jemand im Fernsehen gesagt, dass in 50 Jahren Frauen auf dem Mond entbinden werden. Das wird nix! Wir wissen ja nicht einmal, ob da Sauerstoff ist.
Gibt es ein Ereignis, das ihr Leben nachhaltig verändert hat?
Hr. Knebl: Ja, die Flucht vor der russischen Front. Ich komme aus dem heutigen Serbien, das war damals Jugoslawien unter Tito. Wir gingen dort in eine deutsche Schule.
Am 9. Oktober 1944 sind wir vor der russischen Front geflohen, da war ich 15 Jahre alt. Mit Pferdewagen waren wir sieben Wochen unterwegs, bis nach Schlesien. Dort war ich in der Schule einquartiert und am 13.Februar 1945 sind wir von dort mit den Schlesiern schon wieder vor der russischen Front weiter geflohen. Das war aber unser Glück, denn in Schlesien sollten wir uns freiwillig zur SS melden. Die, die von uns dortgeblieben sind, sind nie wieder zurückgekommen. Die waren im sogenannten Volkssturm eingesetzt an vorderster Linie und sind dort erschossen worden.
In Österreich haben wir dann das Kriegsende erlebt. Wir hatten Glück und waren von der Demarkationslinie der Russen 8 km entfernt in der Amerikanischen Zone. Wir bekamen von den Amerikanern und Russen Papiere, mit denen wir in unsere Heimat zurückkonnten.
In Ungarn ist uns dann aber auf der Fahrt ein Eisenreifen am Pferdewagen geplatzt und das war unser Glück: Die Anderen sind schon weitergefahren und an der jugoslawischen Grenze haben die Partisanen sie nicht hereingelassen. Stattdessen wurden sie dort auf dem Pferdemarkt aufgereiht, die Männer mit den Wägen, die alten Frauen mit den Kindern waren getrennt von den anderen Frauen. Die Frauen sind in Internierungslager gekommen und die Männer mussten mit den Wägen für die Partisanen fahren.
Wir waren dann in Ungarn und haben dort für die Bauern auf dem Feld gearbeitet. Für unsere Pferde haben wir das Futter bekommen und mussten selbst keinen Hunger leiden. Im Februar 1946 haben wir uns entschlossen, weiter zu ziehen. Wir haben die Pferde gegen eine goldene Damentaschenuhr und einen großen Schinken fast hergeschenkt. Damit konnten wir dann die Zugführer schmieren und sind so über Budapest nach Wien gekommen. Dort haben wir auf einem Friedhof die Aufgabe bekommen, Bombentrichter zu zumachen. Unser Ziel war aber ja Deutschland. Dorthin sind wir im Juni 1946 dann mit dem Zug gekommen.
Wie sind Sie dann nach Markt Einersheim gekommen, wo sie dann später ihr Geschäft hatten und gelebt haben?
Hr. Knebl: Das war Zufall. Der Zug hat in Markt Bibart gehalten. Dort sind wir dann erst in ein Barackenlager gekommen. In Markt Einersheim sind wir – nach einer Unterbringung in den Tanzsälen dann als Flüchtlinge auf Häuser verteilt worden.
Vielen Dank für das Interview! (Das Interview führte Amelie Witt)
Als Pflegekraft lernst du BewohnerInnen wie Hr. Knebl und ihre Geschichte kennen. Denn die BewohnerInnen leben bei uns (anders als im Krankenhaus), verbringen ihren Alltag und ihre Zeit mit dir. Wenn du Lust hast, als Pflegekraft im Haus der Pflege zu arbeiten, dann bewirb dich hier (3 Minuten).
Wenn dich interessiert, was unsere Auszubildende Daniela an ihrer Arbeit liebt, dann sie dir diesen Artikel an.