Wir haben alle nicht nur gute Tage
Frau Bischoff begleitet das Haus der Pflege seit über 20 Jahren, früher als Ehrenamtliche und seit 2,5 Jahren als Bewohnerin. Im Interview erzählt sie, wie sie gelernt hat ihr Schicksal anzunehmen, und wofür sie die junge Generation beneidet.
A: Fühlen Sie sich wohl im Haus der Pflege?
Fr. Bischoff: Ja. Ich bin schon 23 Jahre hier zu Hause, weil ich vorher ja ehrenamtlich hier gearbeitet habe, und seit 2,5 Jahren wohne ich hier.
A: Und was haben Sie als Ehrenamtliche gemacht?
Fr. Bischoff: Ich habe die Bewohner spazieren gefahren, Spiele gemacht, gesungen und vorgelesen. Es war auch wichtig für mich: So konnte ich mich neben die Leute setzen und ruhig mit anhören, was ihr Schicksal war. Und dadurch habe ich viel angenommen. Weil es nicht nur bei mir auf und ab geht, sondern jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und da haben Manche auch schwere Schicksale mitgemacht.
A: Wie war ihr Leben, bevor Sie ins Haus der Pflege gekommen sind?
Fr. Bischoff: Mein ganzes Leben war eigentlich ein Leben für meine Mitmenschen. Ich habe viel ehrenamtlich gearbeitet, im Pflegeheim, aber auch 38 Jahre im Feierabendkreis, 20 Jahre im Kirchenvorstand und war 12 Jahre in der Arbeitsgemeinschaft aller Vereine in Sickershausen, wo ich in der Sickerhalle bei Veranstaltungen bewirtet und gekocht habe. Ich habe nur 12 Jahre in einer Kerzenfabrik in Kitzingen gearbeitet. Vor 36 bin ich nie rausgekommen, das war damals so: Man hat gebaut und gespart und dann habe ich die Kinder gehabt, aber so ab 36 habe ich alles ehrenamtlich gemacht. Ich war viel unterwegs, muss ich feststellen. Auch mein Mann hat mich unterstützt, sonst hätte ich es nicht machen können.
A: Wie sieht ein Tag bei Ihnen im Haus der Pflege aus?
Fr. Bischoff: Ich habe ein wunderschönes Zimmer, ich fühle mich richtig wohl. Und ich werde vom Personal sehr gut betreut. Ich wasche mich und ziehe mich an und dann frühstücken wir. Das ist immer so schön, wenn man zusammensitzt. Und dann ist Beschäftigung, da spielen wir und singen wir, das ist recht schön: Ich habe auch sehr viele Hobbies, langweilig wird es bei mir nicht.
A: Seit wann sind Sie Bewohnerin im Haus der Pflege?
Fr. Bischoff: Ich bin seit zweieinhalb Jahren hier. Mein Leben war eine Berg- und Talfahrt. Mal hoch, mal tief, durch Schicksalsschläge und viele Krankheiten und Operationen. Mein Sohn ist gestorben und mein Mann war krank und ich habe ihn vier Jahre lang gepflegt. Das Alles hat mich sehr mitgenommen. Da ist etwas in mir kaputt gegangen und dadurch, dass ich dann alleine war in meinem Haus, hat mich das Haus bald erdrückt. Und die Schmerzen und alles, es hat alles nicht mehr zusammengepasst. Ich hatte dann ein Nierenversagen und war vier Wochen im Koma. Ich habe zu meinen Töchtern gesagt, wenn ich nicht mehr kann, dann möchte ich ins Haus der Pflege einziehen, weil ich es kenne und weiß, dass es mir da gut geht.
Und in den letzten zweieinhalb Jahren habe ich mich so gut aufgerappelt, dass ich jeden Tag eine Stunde spazieren gehen kann. Und ich kann auch an allen Beschäftigungsangeboten teilnehmen. Meine Töchter meinen, das haben sie noch gar nicht erlebt, dass ich mal mehr als zwei Jahre nicht im Krankenhaus war. Das ist ein Zeichen, dass es mir gut geht.
A: Was sind ihre Hobbies?
Fr. Bischoff: Ich mache viel Handarbeiten, mache Kreuzworträtsel, lese Romane, stricke und sticke. Wenn ich Romane lese, da kann ich mich in andere Welten reinversetzen. Da bin ich gerne viel allein in meinem Zimmer. Aber ich weiß, wenn ich jemanden brauche, dass jemand da ist für mich. Und wenn ich schlechte Tage habe, da hilft mir das ganze Personal!
A: Ein perfekter Tag ist für mich…
Fr. Bischoff: …, wenn ich früh aufwache und die Schmerzen sind zu ertragen und ich merke, dass mir geholfen wird, wenn mir etwas weh tut, und ich sagen kann, was ich brauche. Ich bin sehr dankbar und nehme die Tage wie sie kommen. Ich bin auch dankbar, dass ich geistig noch da bin. Das können ja viele hier nicht mehr. Manchmal gibt es Tage, wo man denkt, „Warum, Warum“? Aber man kriegt keine Antwort darauf. Und auch Ihr Jungen habt nicht immer gute und schöne Tage.
A: Das stimmt.
Fr. Bischoff: Das Schlimmste war, als mein Sohn gestorben ist. Weil, das war mein Trost, nachdem mein Mann gestorben ist, dass jemand im Haus helfen kann. Meine Töchter haben natürlich für mich gesorgt, aber die haben auch ihre Arbeit und ihr Leben. Und da habe ich gedacht, das kann ich meinen Töchtern nicht zumuten, mich zu pflegen. Und da gibt es bei uns in Sickershausen so ein schönes Haus, das Haus der Pflege, wo man gut aufgeräumt ist (lacht).
A: Worauf sind Sie besonders stolz in ihrem Leben?
Fr. Bischoff: Auf meine Familie, meine Kinder und Enkel. Ich habe ja drei Kinder und die Kinder sind gesund geboren. Aber ich war sehr krank. Wir waren nach der Geburt sechs Wochen im Krankenhaus. So war eigentlich mein ganzes Leben. Zwei Jahre gut und dann wieder Krankenhaus, ich hatte insgesamt 13 oder 14 Vollnarkosen, irgendwas, war immer. Ich habe zum Beispiel mal einen Unfall gehabt, da hat mich ein Autofahrer vom Mofa runtergeschmissen, als er die Tür aufgemacht hat. Der ganze Fuß war kaputt und ich war 6 Wochen im Krankenhaus. Ich bin aber immer wieder beschützt worden. Ich sollte wohl noch auf der Erde bleiben (lacht).
A: Was ist heute anders als bei Ihnen damals?
Fr. Bischoff: Jetzt ist eine ganz andere Generation. Fast jeder – Mädchen wie Bub – hat einen Beruf und das hatten wir nicht. Und ich muss ehrlich sagen, ich hätte gerne Krankenpflege oder so etwas gelernt. Als ich das ehrenamtlich gemacht habe, das hat mir so gut gefallen. Und ich habe dann meinen Mann gepflegt.
Die Jugend ist so selbstständig und ich bin glücklich, dass sie sich so durchsetzen und lernen, weil später, wenn sie mal wirklich allein sein sollten, können sie sich durch ihren Beruf selbst versorgen, was ich persönlich nicht gekonnt habe. Bei uns hat es das aber noch nicht gegeben, ich war auf der Hauswirtschaftsschule, mehr habe ich nicht gehabt. Mit einem Beruf hätte ich mich vielleicht besser durchgesetzt.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bischoff!
Das Gespräch führte Amelie Witt.